Lurius' Olivenzweig des Friedens
Die Lage von Lurius' Sommerresidenz in den felsigen Bergen bei Telnus war nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten bekannt. Hier verkehrten nur die wichtigsten Cosianer, vereint in einem Stab unter des Ubars Führung. Dionyza war nun bereits einige Zeit an der Kette von Trajanos. Belnend hatten sie hinter sich gelassen und hierher waren sie zurückgekehrt. Dionyza, die nun Chaya gerufen wurde, war viel draußen um den anderen Mädchen bei der Pflege der Olivenbäume zu helfen, von denen es auf dem Anwesen viele gab. Ihre helle Haut war einen Ton dunkler geworden, so glich sie sich nicht nur innerlich allmählich den anderen Sklavinnen der Residenz an. Die körperliche Arbeit war zunächst ungewohnt, dann aber eine willkommene Abwechslung.
Trajanos war gleich wieder abgereist, Richtung Voskdelta, wie Dionyza wusste. Cos hatte es gewagt mit dem Kanalbau zu beginnen, kaum 15 Pasang von Turmus entfernt. Sie dachte zurück an Belnend und an Alja. Es war ihr gelungen Alja eine Botschaft an ihre Eltern zu übergeben, während die Heilerin ihre Striemen versorgte. Eine Warnung, dass Cos und Lydius im Begriff waren sich zu verbinden und dass ihr Bruder Laertes in Gefahr war. Aber dass Cos begonnen hatte den Kanal zu bauen, das hatte Dionyza erst hier in den Bergen von Telnus erfahren. Hinter Lurius' Thronsaal hatten sich die Heerführer und die besten besten Baumeister von Cos versammelt und über den Plänen gebrütet.
Ihre Leidenschaft für Trajanos war ein brennendes, alles verzehrendes Feuer, aber sobald es um Turmus ging, war es, als trage sie zwei Seelen in ihrer Brust. Sie war Chaya. Aber unter der Oberfläche war sie auch Dionyza, die ihre Familie schmerzlich vermisste und nicht wollte, dass ihnen ein Leid widerfuhr. Heute sollten Gäste eintreffen, sie hatte es bereits gewusst, bevor Trajanos aus dem Delta zurückkehrte. Die Sklavinnen flüsterten es hinter vorgehaltener Hand. Gäste aus Lydius waren eingeladen worden. Es war unschwer zu erraten um was gehen würde, denn bereits bei ihrem Besuch in Lydius hatte Trajanos sich keine Mühe gegeben zu verschleiern, dass Cos und Lydius gemeinsame Interessen verbanden. Interessen, die denen von Turmus widersprachen.
Sie hatte Trajanos bereits erwartet, hatte vor dem großen Portal auf den steinernen Stufen gekniet und die lange, olivenbaumgesäumte Allee hinuntergeblickt, auf der sich die Gäste dem Haus näherten. Die weite Sicht auf den Zugang hatte den Vorteil, dass Ankommende bereits in der Ferne ausgemacht und entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen oder ein Empfangskommittee ausgeschickt werden konnten. In diesem Fall war sie, Chaya, das Empfangskommittee. Der wohlbeleibte Lurius hatte seinen fetten, schwammigen Leib nach einem Bad noch einmal zur Ruhe gelegt. Das vom unregelmäßigen Schnappen nach Luft durchbrochene Schnarchen war bis hier unten zu hören, es drang durch die offene Türe der oberen Terrasse wie eine stete Mahnung des Ubars über Cos.
Sie entdeckte Trajanos und seinen Begleiter als winzige Punkte am Horizont, die sich langsam näherten, schon sprang sie auf ihre tabukartigen langen Beine und rannte ihm entgegen. Er wirkte erschöpft und an seinen Armen und Beinen machte sie eine Vielzahl von noch nicht ganz verheilten Moskitostichen aus, ebenso an denen seines Begleiters, dessen Namen sie bald erfahren sollte. Es war Helios con Jad und wie viele andere cosische Krieger im Lager bei der Kanalsbaustelle stationiert. Das Delta und seine Ausläufer. Dionyza erschauerte und dachte an die Schilderungen ihrer Mutter. Die unberechenbaren Rencer. Sumpftharlarions. Flugtharlarions mit Spannweiten, die fast an einen Tarn erinnerten. Morastige Löcher und Tiefen, die bereits viele tapfere Krieger aus Ar verschlungen und deren Gebeine für immer in sich geborgen hatten. Beiden war nur eine kurze Zeit in den Wonnen der cosischen Zivilisation vergönnt, schon am kommenden Tag, nach dem Treffen mit dem Administrator von Lydius, würden sie wieder Richtung Delta abreisen und Dionyza würde erneut in der Residenz verbleiben. In der Obhut der anderen Mädchen, die in ihr nichts als eine unwillkommene Konkurrenz sahen und sie allein deshalb nicht ersäuften, weil sie Angst vor Strafe hatten. Aber Trajanos wollte sie nicht mitnehmen. Er wünschte Dionyza nicht in so unmittelbarer Nähe zu Turmus. Und er wollte, dass ihre Ausbildung voranschritt.
Nur wenig später wurde die Ankunft der lydischen Delegation gemeldet. Vom Hafen in Telnus aus hatte man sie in die Berge geführt, direkt zum Tarnhorst des Lurius con Jad. Dionyza folgte mit langbeinigen Sätzen den schnellen und forschen Schritten ihres Herrn aus dem Haus hinaus, die Stufen hinunter. Die Begrüßung fand in der Mitte der Allee statt. Gar con Lydius hatte sich durchaus in Schale geworfen. Er hatte eine Kajira dabei, wie auch der ihn begleitende Krieger. Eine davon hatte Dionyza zugezwinkert. Dionyza fragte sich zuweilen, warum die Sklavinnen in Lurius' Residenz in so erbitterter Feindschaft zueinander standen. Es bildeten sich nur kleinere Allianzen, diese wurden aber meist geschmiedet um andere Mädchen mehr leiden zu lassen. Misstrauisch nickte sie dem anderen Sklavin zu und blieb wachsam.
Nachdem die Gäste auf den bequemen Liegen Platz genommen hatten und nach einigem Bemühen alle mit bestem Kalana aus Lurius' Kellern sowie einer Platte mit Käsespezialitäten, Trauben und Oliven versorgt waren, hatte man auch genug der Höflichkeiten ausgetauscht. Trajanos war kein Mann der Floskeln und er schätzte es die Dinge auf den Punkt zu bringen. Helios stand hinter ihm und überblickte den Raum und die Tür. Ein Moment angespannter Stille entstand und Dionyza spürte, dass sie warteten. Sie warteten auf Lurius, dessen Schnarchen mittlerweile verklungen war. Trotzdem war es Dionyza, die ihn zuerst erblickte und sich auf den Boden warf.
Lurius' trug ein bodenlanges rotes Gewand mit goldbestickten Bordüren, dem es nicht ganz gelang seine körperlichen Dimensionen zu verhüllen. Besonders sein Wanst ließ den Umhang aufspringen und leicht hinter sich zurücktreten, wenn er sich bewegte. Unten an den weiten Ärmeln hingen die fleischigen Hände hervor und die fast schon weichen gepflegten wurstartigen Finger, deren Berührungen Dionyza ein ums andere Mal erschauern ließen vor Ekel. Der Rumpf ging fast halslos in de Kopf über, das Kinn bewegte sich beim Sprechen wie zu dünn angerührter Sklavenbrei und die Augen waren kaum mehr sichtbar, so aufgedunsen schien das Gesicht. Dennoch war das Wenige, das man von den Augen zu sehen bekam, so beschaffen, dass man ahnte, dass hinter diesem armselig gewordenen Leib, hinter dieser Fassade von Weichheit, die Gerissenheit und der Blutdurst eines Sleens lauerte.
Trajanos erhob sich, als er seines Onkels gewahr wurde. Respekt und Erleichterung zeigten sich auf seinem Gesicht. Dann stellte er die Anwesenden einander vor. Lurius watschelte zur letzten freien Liege und ließ sich darauf sinken. Da Dionyza ihm folgte um ihm Kalana zu reichen, hörte sie das Ächzen des Möbels aus nächster Nähe. Lurius fingerte einen Moment in der scheinbar senilen Freundlichkeit eines Greises an ihren Brüsten herum, bevor er sich den Kelch griff. Rasch floh sie zurück zu Trajanos.
Der Ubar bediente sich reichlich an der Käseplatte während er sein Gespinst aus Worten im Raum verteilte. Seine Freundlichkeit war ähnlich unangenehm wie einen Topf mit Honig getaucht zu werden, dachte Dionyza bei sich, während sie lauschte. Dennoch fingen die klebrigen Fäden seiner Sätze scheinbar Erfolge ein. Es war aber auch möglich, dass der Administrator von Lydius schlicht die Vorteile für sich sah, wenn der Kanal die Thassa und das Landesinnere miteinander verband. Lurius, der immerfort alle Anwesenden und Nichtanwesenden einschließlich Turmus als Freunde von Cos bezeichnete und nur die feine Unterscheidung traf zwischen Freunden, die in die Zukunft dachten und Freunden, denen man noch helfen müsse zu erkennen, bündelte die Aufmerksamkeit für einen kurzen Moment auf Dionyza.
"Mann aus Lydius, Mann aus Lydius, ich bin ein Mann des Friedens und der Versöhnung. Habe ich nicht sogar die Tochter von Turmus in meinen Haushalt aufgenommen? Ein Zeichen meiner freundschaftlichen Verbundenheit. Nein, ich strecke Turmus die Hand der Freundschaft entgegen, nichts weiter. Cos ist der Garant für Frieden. Alles was wir tun ist denen zu helfen, die noch nicht in die Zukunft denken können. Und Chaya hier," sein seniles Kichern erklang, "Chaya hier ist mein Olivenzweig des Friedens."
Dionyza senkte den Kopf um ihr schamgerötetes Gesicht vor den Blicken zu verbergen, sie in diesem Moment auf sie einprasselten. Hinter dem Rücken ballte sie die Fäuste. Selbst in ihrer kindlichen Naivität begriff sie, dass Lurius ihre Eltern und Turmus verpottete, wenn er so sprach. Sie war kein Olivenzweig des Friedens, sie war eine versklavte Frau. Der Kragen und die Ketten schienen mit einem Mal wieder schwerer zu wiegen, sie fast in die Tiefe zu ziehen.
Als Gar con Lydius und seine Gesandtschaft sich verabschiedet hatten, gab es nur noch ein kurzes Gespräch zwischen den drei cosischen Männern. Die Wandlung, die der Ubar nun vollzog, konnte selbst Dionyza nicht verborgen bleiben. Alles greisenhaft Senile fiel von ihm ab, als er in kühlen Worten das weitere Vorgehen skizzierte. Dann entließ er Trajanos und Helios zurück ins Delta. Trajanos forderte sie mit einem Fingerzeig auf, Lurius in dessen Schlafgemach folgen.
Mit vor Entsetzen klammen Händen und hängendem Kopf folgte sie dem Ubar über die Stufen in das obere Stockwerk.