BukTom Bloch
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Grenzen, Opfer und Visionen ... (Die Story) Bitte um Rückmeldungen
Grenzen, Opfer und Visionen ...
Es ist nicht immer leicht, ein Diener (oder sagen wir es vornehmer: ein Butler) zu sein! So sehr ich, S. Wenson Swap, auch versuchte, alles in Haus und Hof perfekt zu gestalten- nie konnte man es wirklich jedem recht machen -gleich ob dies nun die Mitglieder der Familie, die vielen Gäste oder andere Hilfskräfte im Haushalt betraf ... Aber insgesamt war man schon sehr zufrieden mit mir, da war ich mir dann doch wiederum sicher!
Im Jahre des Herren 1897 aber, spielten sich äußerst merkwürdige und beunruhigende Dinge im Haushalt der Familie Westenra ab, denen zu dienen ich die Ehre hatte.
Insbesondere betroffen war hiervon die schöne und junge Herrin, die Tochter des Hauses, Lucy Westenra. Gerade einmal Anfang Zwanzig brachte sie oftmals mit ihrer lebhaften und manchmal fast schon leicht frivolen Art „Leben ins Haus“ und sorgte damit für manch’ unterhaltsame und amüsante Augenblicke, die auch ich –diskret im Hintergrund natürlich- immer wieder einmal miterleben durfte.
Doch damit hatte es nun seit einigen Tagen mehr und mehr ein Ende.
Eine Art böser Schleier lag jetzt über dem prächtigen Londoner Haus mit seinem großen parkähnlichen Garten, ein Schleier, der einfach nicht weichen wollte ...
Unruhe, Nervosität, ja fast schon Angst hatte alle Bewohner und Bedienstete des Hauses -und auch die Personen die nun als Gäste auftraten, erfasst.
Noch vor Kurzem hatte dies Alles ja ganz anders ausgesehen. Lucy Westenra hatte ihr zuvor -mit Verlaub und allem Respekt- vielleicht manchmal etwas „leichtes Herz“, endgültig einem aus der Schar ihrer Bewerber zugewandt –und mit Lord Arthur Holmwood nun wahrlich auch keine schlechte Wahl getroffen!
Dies war der harmonische Stand der Dinge- bis dieser Prinz Vlad Dracul auf den Plan trat.
Dieser war über Miss Lucys beste Freundin, Mina Murray, in ihr Leben getreten. Miss Murray, die ja eigentlich ihren Verlobten Jonathan Harker sehnlichst aus Transsylvanien zurück erwartete, wo dieser auf einer Geschäftsreise irgendwie aufgehalten worden war ...
Obwohl dieser Dracul selten offen im Hause auftrat, hatte ich schnell bemerkt, das hier etwas nicht stimmte, das dies ein ganz außergewöhnliches Wesen sein musste- und ich hatte ihn auch sogleich mit der mysteriösen Krankheit von Miss Lucy in Verbindung gebracht. Es war erschreckend anzusehen, wie hinfällig sie, die einstmals so fröhliche, nach und nach wurde, wie leidend, wie zerrissen sie mehr und mehr wirkte. Ein beängstigendes nächtliches Schlafwandeln im sturmgepeitschten Garten, ihr abwesender und verstörter Gesichtsausdruck, ihre Schmerzen, ihre immer öfter deutlich spürbare Angst- all’ das war höchst beunruhigend. Am schlimmsten war es vielleicht, die Hilflosigkeit aller Berater und insbesondere des Hausarztes Dr. Jack Seward mitzuerleben- niemand fand trotz größter Bemühung eine Heilungsmöglichkeit, oder auch nur eine Erklärung für das fortschreitende Dahinsiechen der einst so schönen, jungen Frau.
Das war eine wirklich traurige Sache- und jeder hoffte nun natürlich, dass der von Dr. Seward herbei telegraphierte Professor Abraham van Helsing möglichst bald einträfe und der Unglücklichen dann auch wirklich wirksam helfen könne.
Auch ich schloss mich nach Außen hin natürlich diesen Wünschen an und äußerte mich ganz so, wie es auch alle Anderen taten.
In Wirklichkeit sah es aber insgeheim ganz anders in mir aus.
Meine Ziele, meine Pläne- sie waren völlig unterschiedener Natur hiervon.
Und sie kreisten sehr intensiv um die Person des Dracul, um die des Nosferatu!
Denn genau das war er- ein Untoter, ein Vampir. Eben das hatten meine in den letzten Tagen in jeder freien Minute erfolgten Beobachtungen, Ermittlungen und Recherchen ergeben. Ich war intensiv, aber sehr vorsichtig vorgegangen –und so mutmaßlich nicht von ihm entdeckt worden. Meine anfängliche, intuitive Vermutung hatte sich vollständig und in jedem Punkte bewahrheitet.
Nun mag es verwundern, dass ein „einfacher Butler“ überhaupt etwas über derartig entlegene, dunkle und seltsame Dinge weiß ... Aber als eben das sah’ ich mich ja nun auch nicht wirklich. Ein Butler: ja. Seit einigen Jahren schon übte ich diesen Beruf umsichtig, engagiert und alle anderen Hilfskräfte im Hause anleitend aus. Als „einfach“ betrachtete ich mich jedoch unbescheidener Weise nie. Schon seit langem pflegte und studierte ich privat die verschiedensten Interessensgebiete. Volksglaube, Vampirismus und ähnliches gehörten dabei ebenso dazu, wie auf der anderen Seite die modernsten technischen Entwicklungen meiner Zeit.
Dracul. Vlad Dracul- ein unsterblicher Blutsauger, ein mächtiger und kluger ganz sicherlich noch dazu! Es lief mir eiskalt über den Rücken und alle meine Muskeln spannten sich nervös an.
Was ich nun vorhatte, war ganz sicher ein schauriges Unterfangen, mit ungewissem Ausgang und grenzenlosen Gefahren schrecklichster Art.
Doch ich musste es tun. Alles war lange und sehr genau überlegt und bedacht. Ich war vorbereitet und fest entschlossen, alle möglichen Folgen zu tragen!
Langsam stieg ich die ersten Stufen zu dem Zimmer hinauf, in dem ich Dracul allein antreffen würde- mindestens eine halbe Stunde, eher aber länger, würde auch keinerlei Störung von Außen eintreten, so hatte ich es geplant und voraus berechnet.
Plötzlich hielt ich einen Moment lang inne und kicherte, fast hysterisch, kurz in mich hinein. Ein skurriler und eigentlich völlig unpassender Gedanke war mir unvermittelt ins Gehirn geschossen. Der gute Vlad sah ja in der Gestalt die er zur Zeit angenommen hatte, wirklich einnehmend aus- insbesondere für viele Damen, wie es mir vorkam. Sein Haar aber war, selbst für das moderne London von 1897, wahrlich recht lang geschnitten, fiel weit über die Schultern hinaus.
Und eben war mir der aberwitzige Gedanke gekommen, dass er da fast ein wenig so aussah, wie ich selbst, als ich einmal für einen volkstümlichen Maskenball mir aus einer alten Perücke etwas besonderes gebastelt hatte. Ich hatte sie ähnlich dunkel eingefärbt und sie war ebenfalls recht lang gewesen- allerdings hatte ich die Haarsträhnen sämtlich künstlich verfilzt, zu einer Art seltsamer Locken und dazu eine sehr dunkle Brille getragen. „Sieht ja zum Fürchten aus!“, hatte eine Bekannte, die gute Laetitia, damals gesagt und sie scherzhaft „dreadlocks“ genannt ... Zum Fürchten, hm. Ich lächelte dünn, aber grimmig. Da hatten wir ja den Zusammenhang!
Vielleicht wird ja selbst so etwas einmal Mode, dachte ich noch- vielleicht in London, vielleicht auch nur auf irgendwelchen karibischen Inselstaaten, oder sonst wo. Vielleicht niemals, vielleicht in dreißig Jahren- was weiß ich ...!
Dann aber schob ich all’ das beiseite, schritt die restlichen Stufen hinauf und betrat das Zimmer.
Ich blieb einige Sekunden etwas unschlüssig stehen, zögerte. Dracul wandte mir den Rücken zu, schien intensiv ein Bild zu betrachten, reagierte nicht.
Schon wollte ich den nächsten Schritt machen, als er mich unvermittelt ansprach, ohne sich vorerst aber mir zuzuwenden.
„Swap. S.Wenson Swap. Sie schleichen sich nicht in ihrer Rolle als Butler derart ungeschickt an mich heran- richtig?“
Er wandte sich unvermittelt um und fixierte mich, während ich unwillkürlich etwas zusammenzuckte.
„Woher, ...?“, brachte ich mühsam hervor.
„Woher ich das weiß? Kommen Sie, Mann – machen sie sich nicht lächerlich! Dass sie ein wenig mehr im Kopf haben, als die üblichen Vertreter ihres Berufsstandes, ist mir natürlich sofort aufgefallen- und ihre alberne Nachspioniererei in den letzten Tagen ist mir natürlich auch nicht verborgen geblieben. Mir scheint, Sie unterschätzen mich –und das trotz ihrer ganzen angestrengten Studien ...“.
Ich war verblüfft und meine Hände fuhren nun doch etwas fahrig hin und her. Gleichzeitig faszinierten mich die ungeheueren Fähigkeiten dieses Wesens aber auch irgendwie.
„Nein. Nein, eigentlich nicht ...“, sagte ich mit etwas gepresster Stimme.
„Nun! Um es abzukürzen.“ Dracul wirkte nun etwas enerviert, aber durchaus entschlossen. „Ich nehme stark an, Sie belieben den Helden zu spielen und möchten das Böse, möchten MICH besiegen, vernichten, kurzum aus der Welt vertilgen! Richtig? Was führen Sie mit sich- Kreuze? Knoblauch, Spiegel, Gebetbücher? Ein Heftchen mit ein paar alten, christlichen Zaubersprüchen?“
„Nichts dergleichen!“, platzte ich heraus. „Und ... –es geht um etwas völlig Anderes, Vlad!“
Stille trat ein.
Nach etlichen Sekunden ließ sich Vlad Dracul scheinbar gänzlich entspannt, ja fast lässig, in einen Sessel nieder und machte eine unbestimmt einladende Handbewegung, die andeute, ich solle ihm gegenüber Platz nehmen. Was ich nach kurzem Zögern auch tat.
„Wissen Sie, S.Wenson“, er lächelte dünn hinsichtlich dieser von ihm zurück gegebenen Vertraulichkeit, „es kommt tatsächlich selten vor, dass es noch jemandem gelingt, mich ein wenig zu überraschen und einen Funken echten Interesses zu wecken. Das bringen die Jahrhunderte so mit sich. Tun Sie sich keinen Zwang an- schildern Sie Ihr Anliegen. Sie haben 5 Minuten.“
Ich war überrascht, verwundert, verwirrt, all’ das, ja. Aber ich schaffte es fast sofort, meine Konzentration wieder zu gewinnen und meinen sorgfältig entworfenen und oft geübten Vortrag entschlossen vorzubringen.
Ich sprach von meinem brennenden Interesse am Wissen der Welt. Von meiner Lebensuhr, die nun schon mehr als halb abgelaufen war, von dem überstarken Gefühl, mindestens 100 Jahre zu früh geboren worden zu sein, von meinem enormen Bedürfnis, nein von meiner Vision, etwas ganz besonderes für die Verständigung, den Wissensaustausch, die Verbindung der Menschen weltweit tun zu müssen und zu können- und von meiner großen Enttäuschung selbst von den neuesten Errungenschaften der menschlichen Technik, wie dem Kinematographen und dem so genannten Telephon. Wie primitiv, unfertig und unzulänglich mir das Alles vorkam ...“
„Stop!“, unterbrach mich der Nosferatu. „Ich denke, ich habe verstanden.“
„Aber worauf soll es hinaus- was wollen Sie von mir?“
Er legte den Kopf etwas in den Nacken, hob beide Augenbrauen und blickte auf mich herab.
Ich nahm meine letzten Mut zusammen.
„Beißen Sie mich- und anschließend lassen Sie mich ein wenig von Ihrem Blut trinken. Ich muss die Zukunft sehen. Ich MUSS!“
Dracul fuhr hoch. „Unverschämt! Sie haben die Frechheit. Sie wollen mir gleich, oder doch zumindest ähnlich werden!“
Er fixierte mich mit verkniffener Mine. „Gegen ein paar Liter echten Menschenblutes- nun gut, dagegen ist nie wirklich etwas einzuwenden ... ! ABER: Ob und wem ich jemals erlaube mir ähnlich zu werden ... nein, mein Lieber. Das ist eine grenzenlose Anmaßung von Ihnen, mich um derartiges anzubetteln!!“
„Nein, ... nicht um die Macht, nicht die Ähnlichkeit ... Zeit! Ich brauche doch nur Zeit. Ein paar Jahrzehnte- Jahrhunderte wenn es hoch kommt ...“, stammelte ich unbeholfen.
Sein Zorn verrauchte ein wenig. „Erstaunlicherweise habe ich das Gefühl, dass Sie es in dieser Hinsicht ehrlich meinen. Sie wirken nicht Machtbesessen und ein reines Winseln aus allgemeiner Todesangst ist es bei Ihnen auch nicht. Seltsam ...“
Er schob sein Gesicht ganz dicht an meines heran. Es wirkte bedrohlich.
„Welch’ ein Unsinn, trotz alledem! Was wissen denn Sie!! Was wissen Sie vom Reich der Dunkelheit, von der Angst dessen, den Alle fürchten! Von der Einsamkeit des Untoten zwischen den Toten und denen, die zu leben glauben! Was wissen SIE ? NICHTS!!“
Er stieß mich ein Stück zurück. Abrupt wechselte er das Thema.
„Sie müssten in Ewigkeit Blut trinken. Andere Menschen zu ihren Kreaturen machen. Deren Tod in Kauf nehmen. Sie wollen alle diese Grenzen überschreiten, wollen alle Opfer bringen- für Ihre Visionen ?“
Er stand aufrecht da. Und schwieg. Sah mich lange Zeit an. Schwieg weiterhin.
Ich wurde zusehends nervöser, begann irgendwann hektisch zu reden und zu erklären, noch immer sah ich eine Chance!
Ein Chance für meine Träume, meine Visionen, meinen undeutlich gefühlten Auftrag in der Zeit ...
Zog Vergleiche, sagte, dass es ja für Viele die Liebe sei, die ihre Vision darstellt, eine Vision die unendlich viele Namen tragen kann, gleich ob dieser nun Anna, Berta, Paula, Renate, Mina oder Elisabeta sei ... aber das es eben auch andere, gleich starke, große und wunderbare Visionen geben kann- so wie die meine! ... ich verstummte wieder. Seine Fragen standen nach wie vor im Raum.
Kleinlaut und schon fast verzweifelt begann ich dann diesen Teil meines Vortrages. Berichtete das ich darüber natürlich nachgedacht hätte. Sprach von Skrupeln. Von Tierblut, von Blutkonserven, von Selbstbeschränkungen , ...
Schwieg.
Nachdenklich sah Vlad Dracul mich an.
Fast sanft befahl er mir: „Steh’ auf, Swap. Gut. –Nun komm hier entlang, ein paar Schritte.“
Ich folgte ihm, wie hypnotisiert, sah nur noch seine Augen, war innerlich wie erstarrt.
Schließlich blieben wir stehen.
„Drei Dinge, Swap“, sagte Vlad zu mir „Erstens: Deine 5 Minuten sind mehr als um. Zweitens: Du hast mich ein wenig zum Nachdenken gebracht- das schaffen nicht mehr viele. Ich vergelte es Dir. Drittens: es gibt fast immer mehr als eine Möglichkeit. Zeuge Kinder. Lebe Ihnen Deine Visionen vor- so kannst Du sie unsterblich machen! ...und nun: Adieu!!“
Nach diesen Worten versetzte er mir einen Stoß vor die Brust und ich fiel. Schlug schmerzhaft an und fiel weiter. Hatte das seltsame Gefühl, mein langer Sturz werde aber irgendwie gelenkt und gemildert. Schlug endgültig auf – und dann: Nichts mehr.
Für lange Zeit. Erst etliche Tage später kam ich in pflegender Obhut wieder zu wirklichem Bewusstsein. Ich sei rücklings die Treppe hinuntergestürzt, zwar lange bewusstlos gewesen, werde aber keine bleibenden Schäden zurück behalten, erklärte man mir hastig. Ein bedauerlicher Unfall. Zwar wurde ich gut gepflegt, doch das allgemeine Interesse richtete sich natürlich auf den zwischenzeitlich geschehenen Tod von Lucy Westenra, den überstürzten Aufbruch der Gruppe um Professor van Helsing und ähnliche erschütternde Ereignisse, von denen der Leser ganz sicherlich aus anderen Quellen bereits Kunde hat. Vlad Dracul hatte meine Sehnsucht nicht gestillt. Er hatte mich aber nicht gebissen, er hatte mein Leben geschont und sogar verstümmelnde Verletzungen verhindert- und er hatte mir Ratschläge erteilt.
Freundlich lächelte ich die kluge, umsichtige und ausnehmend hübsche Krankenpflegerin an, die eben meine Kissen aufschüttelte- und sie erwiderte dieses Lächeln auf eine vollständig angenehme und viel versprechende Weise ...!
*** ENDE ***
Grenzen, Opfer und Visionen ...
Es ist nicht immer leicht, ein Diener (oder sagen wir es vornehmer: ein Butler) zu sein! So sehr ich, S. Wenson Swap, auch versuchte, alles in Haus und Hof perfekt zu gestalten- nie konnte man es wirklich jedem recht machen -gleich ob dies nun die Mitglieder der Familie, die vielen Gäste oder andere Hilfskräfte im Haushalt betraf ... Aber insgesamt war man schon sehr zufrieden mit mir, da war ich mir dann doch wiederum sicher!
Im Jahre des Herren 1897 aber, spielten sich äußerst merkwürdige und beunruhigende Dinge im Haushalt der Familie Westenra ab, denen zu dienen ich die Ehre hatte.
Insbesondere betroffen war hiervon die schöne und junge Herrin, die Tochter des Hauses, Lucy Westenra. Gerade einmal Anfang Zwanzig brachte sie oftmals mit ihrer lebhaften und manchmal fast schon leicht frivolen Art „Leben ins Haus“ und sorgte damit für manch’ unterhaltsame und amüsante Augenblicke, die auch ich –diskret im Hintergrund natürlich- immer wieder einmal miterleben durfte.
Doch damit hatte es nun seit einigen Tagen mehr und mehr ein Ende.
Eine Art böser Schleier lag jetzt über dem prächtigen Londoner Haus mit seinem großen parkähnlichen Garten, ein Schleier, der einfach nicht weichen wollte ...
Unruhe, Nervosität, ja fast schon Angst hatte alle Bewohner und Bedienstete des Hauses -und auch die Personen die nun als Gäste auftraten, erfasst.
Noch vor Kurzem hatte dies Alles ja ganz anders ausgesehen. Lucy Westenra hatte ihr zuvor -mit Verlaub und allem Respekt- vielleicht manchmal etwas „leichtes Herz“, endgültig einem aus der Schar ihrer Bewerber zugewandt –und mit Lord Arthur Holmwood nun wahrlich auch keine schlechte Wahl getroffen!
Dies war der harmonische Stand der Dinge- bis dieser Prinz Vlad Dracul auf den Plan trat.
Dieser war über Miss Lucys beste Freundin, Mina Murray, in ihr Leben getreten. Miss Murray, die ja eigentlich ihren Verlobten Jonathan Harker sehnlichst aus Transsylvanien zurück erwartete, wo dieser auf einer Geschäftsreise irgendwie aufgehalten worden war ...
Obwohl dieser Dracul selten offen im Hause auftrat, hatte ich schnell bemerkt, das hier etwas nicht stimmte, das dies ein ganz außergewöhnliches Wesen sein musste- und ich hatte ihn auch sogleich mit der mysteriösen Krankheit von Miss Lucy in Verbindung gebracht. Es war erschreckend anzusehen, wie hinfällig sie, die einstmals so fröhliche, nach und nach wurde, wie leidend, wie zerrissen sie mehr und mehr wirkte. Ein beängstigendes nächtliches Schlafwandeln im sturmgepeitschten Garten, ihr abwesender und verstörter Gesichtsausdruck, ihre Schmerzen, ihre immer öfter deutlich spürbare Angst- all’ das war höchst beunruhigend. Am schlimmsten war es vielleicht, die Hilflosigkeit aller Berater und insbesondere des Hausarztes Dr. Jack Seward mitzuerleben- niemand fand trotz größter Bemühung eine Heilungsmöglichkeit, oder auch nur eine Erklärung für das fortschreitende Dahinsiechen der einst so schönen, jungen Frau.
Das war eine wirklich traurige Sache- und jeder hoffte nun natürlich, dass der von Dr. Seward herbei telegraphierte Professor Abraham van Helsing möglichst bald einträfe und der Unglücklichen dann auch wirklich wirksam helfen könne.
Auch ich schloss mich nach Außen hin natürlich diesen Wünschen an und äußerte mich ganz so, wie es auch alle Anderen taten.
In Wirklichkeit sah es aber insgeheim ganz anders in mir aus.
Meine Ziele, meine Pläne- sie waren völlig unterschiedener Natur hiervon.
Und sie kreisten sehr intensiv um die Person des Dracul, um die des Nosferatu!
Denn genau das war er- ein Untoter, ein Vampir. Eben das hatten meine in den letzten Tagen in jeder freien Minute erfolgten Beobachtungen, Ermittlungen und Recherchen ergeben. Ich war intensiv, aber sehr vorsichtig vorgegangen –und so mutmaßlich nicht von ihm entdeckt worden. Meine anfängliche, intuitive Vermutung hatte sich vollständig und in jedem Punkte bewahrheitet.
Nun mag es verwundern, dass ein „einfacher Butler“ überhaupt etwas über derartig entlegene, dunkle und seltsame Dinge weiß ... Aber als eben das sah’ ich mich ja nun auch nicht wirklich. Ein Butler: ja. Seit einigen Jahren schon übte ich diesen Beruf umsichtig, engagiert und alle anderen Hilfskräfte im Hause anleitend aus. Als „einfach“ betrachtete ich mich jedoch unbescheidener Weise nie. Schon seit langem pflegte und studierte ich privat die verschiedensten Interessensgebiete. Volksglaube, Vampirismus und ähnliches gehörten dabei ebenso dazu, wie auf der anderen Seite die modernsten technischen Entwicklungen meiner Zeit.
Dracul. Vlad Dracul- ein unsterblicher Blutsauger, ein mächtiger und kluger ganz sicherlich noch dazu! Es lief mir eiskalt über den Rücken und alle meine Muskeln spannten sich nervös an.
Was ich nun vorhatte, war ganz sicher ein schauriges Unterfangen, mit ungewissem Ausgang und grenzenlosen Gefahren schrecklichster Art.
Doch ich musste es tun. Alles war lange und sehr genau überlegt und bedacht. Ich war vorbereitet und fest entschlossen, alle möglichen Folgen zu tragen!
Langsam stieg ich die ersten Stufen zu dem Zimmer hinauf, in dem ich Dracul allein antreffen würde- mindestens eine halbe Stunde, eher aber länger, würde auch keinerlei Störung von Außen eintreten, so hatte ich es geplant und voraus berechnet.
Plötzlich hielt ich einen Moment lang inne und kicherte, fast hysterisch, kurz in mich hinein. Ein skurriler und eigentlich völlig unpassender Gedanke war mir unvermittelt ins Gehirn geschossen. Der gute Vlad sah ja in der Gestalt die er zur Zeit angenommen hatte, wirklich einnehmend aus- insbesondere für viele Damen, wie es mir vorkam. Sein Haar aber war, selbst für das moderne London von 1897, wahrlich recht lang geschnitten, fiel weit über die Schultern hinaus.
Und eben war mir der aberwitzige Gedanke gekommen, dass er da fast ein wenig so aussah, wie ich selbst, als ich einmal für einen volkstümlichen Maskenball mir aus einer alten Perücke etwas besonderes gebastelt hatte. Ich hatte sie ähnlich dunkel eingefärbt und sie war ebenfalls recht lang gewesen- allerdings hatte ich die Haarsträhnen sämtlich künstlich verfilzt, zu einer Art seltsamer Locken und dazu eine sehr dunkle Brille getragen. „Sieht ja zum Fürchten aus!“, hatte eine Bekannte, die gute Laetitia, damals gesagt und sie scherzhaft „dreadlocks“ genannt ... Zum Fürchten, hm. Ich lächelte dünn, aber grimmig. Da hatten wir ja den Zusammenhang!
Vielleicht wird ja selbst so etwas einmal Mode, dachte ich noch- vielleicht in London, vielleicht auch nur auf irgendwelchen karibischen Inselstaaten, oder sonst wo. Vielleicht niemals, vielleicht in dreißig Jahren- was weiß ich ...!
Dann aber schob ich all’ das beiseite, schritt die restlichen Stufen hinauf und betrat das Zimmer.
Ich blieb einige Sekunden etwas unschlüssig stehen, zögerte. Dracul wandte mir den Rücken zu, schien intensiv ein Bild zu betrachten, reagierte nicht.
Schon wollte ich den nächsten Schritt machen, als er mich unvermittelt ansprach, ohne sich vorerst aber mir zuzuwenden.
„Swap. S.Wenson Swap. Sie schleichen sich nicht in ihrer Rolle als Butler derart ungeschickt an mich heran- richtig?“
Er wandte sich unvermittelt um und fixierte mich, während ich unwillkürlich etwas zusammenzuckte.
„Woher, ...?“, brachte ich mühsam hervor.
„Woher ich das weiß? Kommen Sie, Mann – machen sie sich nicht lächerlich! Dass sie ein wenig mehr im Kopf haben, als die üblichen Vertreter ihres Berufsstandes, ist mir natürlich sofort aufgefallen- und ihre alberne Nachspioniererei in den letzten Tagen ist mir natürlich auch nicht verborgen geblieben. Mir scheint, Sie unterschätzen mich –und das trotz ihrer ganzen angestrengten Studien ...“.
Ich war verblüfft und meine Hände fuhren nun doch etwas fahrig hin und her. Gleichzeitig faszinierten mich die ungeheueren Fähigkeiten dieses Wesens aber auch irgendwie.
„Nein. Nein, eigentlich nicht ...“, sagte ich mit etwas gepresster Stimme.
„Nun! Um es abzukürzen.“ Dracul wirkte nun etwas enerviert, aber durchaus entschlossen. „Ich nehme stark an, Sie belieben den Helden zu spielen und möchten das Böse, möchten MICH besiegen, vernichten, kurzum aus der Welt vertilgen! Richtig? Was führen Sie mit sich- Kreuze? Knoblauch, Spiegel, Gebetbücher? Ein Heftchen mit ein paar alten, christlichen Zaubersprüchen?“
„Nichts dergleichen!“, platzte ich heraus. „Und ... –es geht um etwas völlig Anderes, Vlad!“
Stille trat ein.
Nach etlichen Sekunden ließ sich Vlad Dracul scheinbar gänzlich entspannt, ja fast lässig, in einen Sessel nieder und machte eine unbestimmt einladende Handbewegung, die andeute, ich solle ihm gegenüber Platz nehmen. Was ich nach kurzem Zögern auch tat.
„Wissen Sie, S.Wenson“, er lächelte dünn hinsichtlich dieser von ihm zurück gegebenen Vertraulichkeit, „es kommt tatsächlich selten vor, dass es noch jemandem gelingt, mich ein wenig zu überraschen und einen Funken echten Interesses zu wecken. Das bringen die Jahrhunderte so mit sich. Tun Sie sich keinen Zwang an- schildern Sie Ihr Anliegen. Sie haben 5 Minuten.“
Ich war überrascht, verwundert, verwirrt, all’ das, ja. Aber ich schaffte es fast sofort, meine Konzentration wieder zu gewinnen und meinen sorgfältig entworfenen und oft geübten Vortrag entschlossen vorzubringen.
Ich sprach von meinem brennenden Interesse am Wissen der Welt. Von meiner Lebensuhr, die nun schon mehr als halb abgelaufen war, von dem überstarken Gefühl, mindestens 100 Jahre zu früh geboren worden zu sein, von meinem enormen Bedürfnis, nein von meiner Vision, etwas ganz besonderes für die Verständigung, den Wissensaustausch, die Verbindung der Menschen weltweit tun zu müssen und zu können- und von meiner großen Enttäuschung selbst von den neuesten Errungenschaften der menschlichen Technik, wie dem Kinematographen und dem so genannten Telephon. Wie primitiv, unfertig und unzulänglich mir das Alles vorkam ...“
„Stop!“, unterbrach mich der Nosferatu. „Ich denke, ich habe verstanden.“
„Aber worauf soll es hinaus- was wollen Sie von mir?“
Er legte den Kopf etwas in den Nacken, hob beide Augenbrauen und blickte auf mich herab.
Ich nahm meine letzten Mut zusammen.
„Beißen Sie mich- und anschließend lassen Sie mich ein wenig von Ihrem Blut trinken. Ich muss die Zukunft sehen. Ich MUSS!“
Dracul fuhr hoch. „Unverschämt! Sie haben die Frechheit. Sie wollen mir gleich, oder doch zumindest ähnlich werden!“
Er fixierte mich mit verkniffener Mine. „Gegen ein paar Liter echten Menschenblutes- nun gut, dagegen ist nie wirklich etwas einzuwenden ... ! ABER: Ob und wem ich jemals erlaube mir ähnlich zu werden ... nein, mein Lieber. Das ist eine grenzenlose Anmaßung von Ihnen, mich um derartiges anzubetteln!!“
„Nein, ... nicht um die Macht, nicht die Ähnlichkeit ... Zeit! Ich brauche doch nur Zeit. Ein paar Jahrzehnte- Jahrhunderte wenn es hoch kommt ...“, stammelte ich unbeholfen.
Sein Zorn verrauchte ein wenig. „Erstaunlicherweise habe ich das Gefühl, dass Sie es in dieser Hinsicht ehrlich meinen. Sie wirken nicht Machtbesessen und ein reines Winseln aus allgemeiner Todesangst ist es bei Ihnen auch nicht. Seltsam ...“
Er schob sein Gesicht ganz dicht an meines heran. Es wirkte bedrohlich.
„Welch’ ein Unsinn, trotz alledem! Was wissen denn Sie!! Was wissen Sie vom Reich der Dunkelheit, von der Angst dessen, den Alle fürchten! Von der Einsamkeit des Untoten zwischen den Toten und denen, die zu leben glauben! Was wissen SIE ? NICHTS!!“
Er stieß mich ein Stück zurück. Abrupt wechselte er das Thema.
„Sie müssten in Ewigkeit Blut trinken. Andere Menschen zu ihren Kreaturen machen. Deren Tod in Kauf nehmen. Sie wollen alle diese Grenzen überschreiten, wollen alle Opfer bringen- für Ihre Visionen ?“
Er stand aufrecht da. Und schwieg. Sah mich lange Zeit an. Schwieg weiterhin.
Ich wurde zusehends nervöser, begann irgendwann hektisch zu reden und zu erklären, noch immer sah ich eine Chance!
Ein Chance für meine Träume, meine Visionen, meinen undeutlich gefühlten Auftrag in der Zeit ...
Zog Vergleiche, sagte, dass es ja für Viele die Liebe sei, die ihre Vision darstellt, eine Vision die unendlich viele Namen tragen kann, gleich ob dieser nun Anna, Berta, Paula, Renate, Mina oder Elisabeta sei ... aber das es eben auch andere, gleich starke, große und wunderbare Visionen geben kann- so wie die meine! ... ich verstummte wieder. Seine Fragen standen nach wie vor im Raum.
Kleinlaut und schon fast verzweifelt begann ich dann diesen Teil meines Vortrages. Berichtete das ich darüber natürlich nachgedacht hätte. Sprach von Skrupeln. Von Tierblut, von Blutkonserven, von Selbstbeschränkungen , ...
Schwieg.
Nachdenklich sah Vlad Dracul mich an.
Fast sanft befahl er mir: „Steh’ auf, Swap. Gut. –Nun komm hier entlang, ein paar Schritte.“
Ich folgte ihm, wie hypnotisiert, sah nur noch seine Augen, war innerlich wie erstarrt.
Schließlich blieben wir stehen.
„Drei Dinge, Swap“, sagte Vlad zu mir „Erstens: Deine 5 Minuten sind mehr als um. Zweitens: Du hast mich ein wenig zum Nachdenken gebracht- das schaffen nicht mehr viele. Ich vergelte es Dir. Drittens: es gibt fast immer mehr als eine Möglichkeit. Zeuge Kinder. Lebe Ihnen Deine Visionen vor- so kannst Du sie unsterblich machen! ...und nun: Adieu!!“
Nach diesen Worten versetzte er mir einen Stoß vor die Brust und ich fiel. Schlug schmerzhaft an und fiel weiter. Hatte das seltsame Gefühl, mein langer Sturz werde aber irgendwie gelenkt und gemildert. Schlug endgültig auf – und dann: Nichts mehr.
Für lange Zeit. Erst etliche Tage später kam ich in pflegender Obhut wieder zu wirklichem Bewusstsein. Ich sei rücklings die Treppe hinuntergestürzt, zwar lange bewusstlos gewesen, werde aber keine bleibenden Schäden zurück behalten, erklärte man mir hastig. Ein bedauerlicher Unfall. Zwar wurde ich gut gepflegt, doch das allgemeine Interesse richtete sich natürlich auf den zwischenzeitlich geschehenen Tod von Lucy Westenra, den überstürzten Aufbruch der Gruppe um Professor van Helsing und ähnliche erschütternde Ereignisse, von denen der Leser ganz sicherlich aus anderen Quellen bereits Kunde hat. Vlad Dracul hatte meine Sehnsucht nicht gestillt. Er hatte mich aber nicht gebissen, er hatte mein Leben geschont und sogar verstümmelnde Verletzungen verhindert- und er hatte mir Ratschläge erteilt.
Freundlich lächelte ich die kluge, umsichtige und ausnehmend hübsche Krankenpflegerin an, die eben meine Kissen aufschüttelte- und sie erwiderte dieses Lächeln auf eine vollständig angenehme und viel versprechende Weise ...!
*** ENDE ***