Nach dem Tanz war Ravina erst einige Ehn später, wie aus einer Trance erwacht, hatte hektisch um sich geblickt und dann war sie rasch aus dem Tanzkreis geflüchtet. Zielstrebig lief sie nun durch die engen Gassen, bis zu einem kleinen Häuschen, ganz am Ende der Stadt, von dem sie wusste, dass es nicht bewohnt war. Oft schon hatte sie hier Zuflucht gesucht, wenn sie einfach mal alleine sein musste und ganz automatisch hatten ihre Schritte sie an diesem Abend hierher gelenkt. Möglichst leise drückte sie die Türe auf. Kein Lichtstrahl drang in das Haus ein und Ravina musste sich langsam vorantasten. Es dauerte nur wenige Ihn, bis sie das alte Fell erfühlen konnte, dass hier schon auf dem Boden lag, solange sie sich erinnern konnte. Zufrieden kuschelte sie sich darauf und starrte dann blind in die Dunkelheit hinein.
Morgen würden sie also abreisen. Wohin der Weg ihre Herrin wohl führen mochte? Und ob sie ihr irgendwann wieder verzeihen würde? Ravina redete sich ein, dass die Ubara von der Gefangenschaft sicher so erschöpft war, dass ihr das Verschwinden ihrer Sklavin einfach zu viel gewesen war. Dann noch das Wissen, ihre geliebte Stadt verlassen zu müssen... ja, ganz sicher hatte die Herrin nur überreagiert und würde ihr morgen schon vergeben können. Mit diesem tröstlichen Gedanken schlief Ravina ein.
Als das Mädchen am nächsten Morgen erwachte, fiel helles Tageslicht durch einen kleinen Türspalt in den Raum hinein. Müde rieb sie sich die Augen und hatte Mühe sich zu erinnern, warum sie überhaupt hier war. Auf einmal fuhr sie erschrocken hoch. Die Abreise! Hatte ihre Herrin nicht gesagt, sie wolle spätestens beim Morgengrauen aufbrechen? Hektisch rappelte Ravina sich von ihrem Fell auf und stürzte zur Türe hinaus. Die Sonne brannte bereits hell auf die Stadt hinab und Ravina wagte kaum sich auszumalen, wie lange sie geschlafen haben musste. Wie von einer Horde Sleen gejagt rannte sie durch die Gassen in Richtung des Stadttores, wo man sich sicher zur Abreise versammeln würde. Schmerzhaft brannte der Atem in ihren Lungen, als sie endlich ankam, doch sie erlebte eine Enttäuschung. Der Platz zwischen Stadtmauer und Tor lag vollkommen verlassen da.
Ravinas Blick flog verzweifelt hin und her, doch es war weit und breit niemand zu entdecken. Sie legte die Hände an den Mund und rief, so laut sie konnte: "Ist noch jemand hier?" Doch es blieb totenstill. Die schlimme Vorahnung, zu spät zu sein, überkam sie, aber sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Rasch lief sie durch das Tor hinaus und blickte in die Ferne, spähte konzentriert in alle Richtungen, doch von einer großen Karawane, die sich langsam von der Stadt entfernte, war weit und breit nichts zu sehen.
Und plötzlich schien die Stille Ravina zu erdrücken. Hatte man sie tatsächlich alleine hier zurückgelassen? Hatte sie denn keiner vermisst, als man aufgebrochen war? Oder, war sie gar mit Absicht nicht mitgenommen worden? Immerhin war ihre Herrin ja noch sehr böse auf sie!
Vollkommen fertig ließ Ravina sich auf den warmen Sand sinken und starrte dann über die endlosen Sanddünen der Tahari, unfähig, irgendeinen weiteren Gedanken zu fassen. Angst senkte sich wie Blei auf das Mädchen herab und irgendwann konnte sie es nicht mehr aushalten. Sie ließ verzweifelt ihren Kopf auf die Knie sinken und begann zu weinen.
Ein Schatten fiel auf Ravina herab und als sie durch die tränennassen Wimpern hindurch blinzelte, konnte sie zunächst nur ein paar Füße in groben Männerstiefeln vor sich ausmachen. Langsam glitt ihr Blick nach oben und sie erkannte, dass es ein fremder, blonder Mann war, der vor ihr stand. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, die Augenbrauen waren leicht hochgezogen und sein Blick ruhte fragend auf ihr. Ravina rappelte sich hastig auf die Knie hoch und murmelte dann ein ersticktes "Die Sklavin grüßt euch, Herr!" Schnell wischte sie sich über die nassen Augen und fügte dann hinzu: "Die Stadt ist seit heute verlassen, Herr. Ihr seid zu spät, wenn ihr jemanden besuchen wollt." Die Augenbrauen des Fremden zogen sich noch weiter nach oben und seine Lippen zuckten belustigt bei den Worten der Sklavin. "Besuchen? Nein, Kajira. Ich wollte die Stadt eigentlich übernehmen!"
Verblüfft schaute Ravina in das Gesicht des Freien und versuchte das Gehörte zu sortieren. Sie sah ihn noch immer etwas ratlos an, als sie aus den Augenwinkeln hinter ihm eine Bewegung ausmachte. Ein ganzer Zug Menschen kam da von der Oase her auf die Stadt zu und Ravina fiel plötzlich wieder ein, was Lesnie ihr über die Genesianer erzählt hatte.
"Was hast du denn da für einen Fund gemacht, Tom?", erklang plötzlich eine weibliche Stimme hinter dem Freien. "Gehört die mit zum Inventar der Stadt?" Es war eine dunkelhaarige Frau, die sich nun an dem Rarius vorbeischob und die Kajira wie ein seltenes Tier betrachtete. Trotzig sah Ravina zu ihr auf und sagte dann mit stolzer Stimme: "Die Sklavin wird Ravina gerufen und ist Eigentum der Ubara von Torburg, Herrin!"
Der Freie mit dem Namen Tom, lachte schallend, als er Ravinas Antwort hörte. Er sah zu der Frau und tat nun schwer beeindruckt. "Nun, Sam, du hast es gehört! Sie gehört einer Ubara!" Dann schaute er wieder auf Ravina hinab und seine Augen funkelten vor Spott. "Ich frage mich nur, warum sie dich nicht mitgenommen hat, die Ubara. Wenn du doch ihr Eigentum bist! Das möchtest du mir doch sicher gerne erzählen, nicht wahr?" Ravina wurde blass und wusste darauf nichts zu erwidern. Alles in ihr wehrte sich dagegen zuzugeben, dass man sie hier zurück gelassen hatte. So starrte sie die beiden Fremden einfach nur widerspenstig an. Die Freie verengte die Augen als sie Ravinas Blick bemerkte, dann sagte sie, in deutlich kühlerem Ton als zuvor: "Der Prätor hat dich etwas gefragt! Bist du taub, Kleines?" Ravina zuckte zusammen, als sie das Wort "Prätor" hörte. Oh nein! Sie hatte es gewagt, sich ausgerechnet vor dem Mann überheblich zu zeigen, der wohl neuer Herrscher über Torburg werden würde! Ihr Blick wanderte zu ihm hin, man konnte sehen wir ihr Hals sich bewegte, als sie hart schluckte, dann presste sie heraus: "Verzeiht der Sklavin, Herr! Bitte verzeiht der Sklavin! Es stand ihr nicht zu, so stolz zu sprechen. Bitte bestraft Ravina nicht, Herr!"
Tom blickte ernst auf sie herab, dann nickte er langsam. "Ich werde dich vorerst nicht bestrafen, Kajira. Doch wir werden zu gegebener Ahn noch einmal auf den Grund deines Hierseins zu sprechen kommen." Dann wandte er sich brüsk ab und sah zu der Freien, namens Sam. "Es wird heiß in der Mittagssonne. Ich denke wir sollten unsere Zeit nicht mit fremden Sklavinnen vergeuden, sondern einen schattigen Platz in der Stadt suchen. Es gibt noch viel zu tun heute!" Auf diese Worte hin ging er einfach an Ravina vorbei, in die Stadt hinein.
Nun drängten sich auch die Gefolgsleute des Prätors in Richtung Tor und Ravina rutschte hastig zurück, um nicht getreten, oder gar von einem der Handwagen überrollt zu werden.
Sie blieb noch eine ganze Weile draußen knien und sah stumm durch das Tor hindurch zu, wie die Fremden ihr Gepäck in die Stadt hinein schafften und sich dann, einer nach dem anderen, am Feuerkreis niederließen. Es schnitt ihr regelrecht ins Herz, als sie das Lachen und die Ausgelassenheit der Genesianer hörte. Vor ihrem inneren Augen sah sie ihre Herrin dort sitzen, im Kreis der Rarii und ihrer Freunde. Dort waren Verteidigungspläne geschmiedet und Feste gefeiert worden und man hatte, wenn die Dunkelheit über die Wüste hereinbrach, im Schein des Feuers den Tag mit ein paar Geschichten ausklingen lassen. Wie oft war Ravina neben der Ubara gekniet... hatte dabei sein dürfen. Eine Träne lief über die Wange des Mädchens und sie wischte sie verstohlen weg.
Es musste wohl fast eine Ahn vergangen sein, als sich Sam wieder an sie zu erinnern schien und vor das Tor trat. Sie blickte auf die nackte, rothaarige Sklavin mit dem traurigen Gesicht hinab und sagte dann sanft: "Komm herein, Kleines. Du musst nicht hier draußen warten. Wir wissen doch beide, dass deine Herrin nicht zurück kommen wird!"