Vorstoß in das Hinterland
Das Verschwinden Afras und das merkwürdige Verhalten von Smaragd und Loreena veranlassten Cindy die Anführerin der Krieger jetzt endlich einmal herauszufinden was da im Hinterland vor sich ging.
Sie berichtete den Hoheiten im Sanctum und erklärte, dass die Sicherheit Amazoniens davon abhing dass die Amazonen über die Vorgänge dort Bescheid wüssten. Damit rannte sie bei Atrista der weltlichen Anführerin und Kriegsherrin offene Türen ein. Cindy bekam die Order einen kleinen Trupp zusammenzustellen, das bergige Hinterland zu erkunden, mögliche Gefahren auszumachen und das ganze Land zu kartographisieren. Keinesfalls sollte sie sich in kriegerische Auseinandersetzungen einlassen. Nachdem die Königin ihren Segen als Hohenpriesterin gegeben hatte stellte Cindy eiligst eine kleine Truppe zusammen. Das Orakel war dabei für den Fall dass man Erklärungen bräuchte oder aber nicht mehr weiter wüsste. Smaragd führte den Trupp an. Sie kannte das Hinterland durch die Streifzüge mit Loreena und Afra.
Kaum hatte man die bekannten Grenzen Amazoniens überschritten wurde die Gegend immer unwirtlicher. Wege waren so gut wie keine zu erkennen und Geröll und Felsbrocken kündigten die nahen Berge an. Nach zwei Tagen machte sich bereits Erschöpfung breit. Das Auf und Ab auf steinigen Boden kostete Kraft und immer öfter mussten die Schwerter gezogen werden um sich einen Weg durch das dichte Unterholz zu bahnen.
Am dritten Tag hielt Smaragd auf einem Hügel an und wartete bis der ganze Trupp aufgeschlossen hatte. Von hier aus hatte man einen Überblick über ein schier unendliches Tal. Man sah nur die dicht stehenden Wipfel der Bäume und kahle Felsspitzen blitzten hier und da in der Ferne in den Himmel. Smaragd oder der Tiger wie sie respektvoll von den Kriegern wegen ihrer Herkunft genannt wurde machte eine weit ausladende Handbewegung und zeigte über das Land.
„Afras Jagdrevier“, sagte sie und so wie sie es sagte klang es voller Ehrfurcht.
Mit keuchenden Lungen starrten die Krieger in das Land hinein. Sie stellten sich vor wie hier eine Frau alleine hauste und sich in diesem Gelände bewegte. Wie sie hier jagte und dann ihre Felle den ganzen Weg bis zu ihnen schleppte und nie hatte man ihr Erschöpfung angemerkt. Einige sahen diese Frau jetzt mit anderen Augen und nicht wenige mussten sich eingestehen, dass sie Afra hoffnungslos unterschätzt hatten. Cindy schaute sich um und entdeckte eine große Felsspalte. Hier waren sie windgeschützt und konnten endlich mal wieder ein Feuer machen. Die Mannschaft brauchte dringen eine Pause bevor sie in das Tal vordringen konnten.
„Wir lagern hier“, befahl sie und zeigte auf die Felsgruppe, „ich will endlich einmal schlafen ohne ständig den Wind in den Ohren zu haben“
„Ich besorg uns das Nachtessen“, rief der Tiger und ohne noch einen Befehl abzuwarten rannte sie den Hügel hinab und verschwand im Wald. Die Krieger lachten befreit auf, endlich war mal Hoffnung auf bessere Stimmung und sie waren in diesem Moment froh, dass Smaragd eigentlich immer nur an das Essen dachte.
Während der Rest der Truppe in der hinteren Ecke der Felsenhöhle das Lager vorbereitete und ein Feuer anzündete stand Cindy gedankenverloren am Rande des Hügels und schaute immer noch über das Land.
„Beeindruckend schön und gefährlich“, dachte sie und stellte sich hier ein Leben in der Einsamkeit vor. Keine Heiler in der Nähe, keine Schamanin und keine Priesterin, keine Taverne wo man sich in Gesellschaft schöne Geschichten erzählte.
„Jetzt ist mir klar wieso Afra so durchgeknallt und verrückt ist und wieso sie kaum spricht. Mit wem auch?“ sprach sie halblaut vor sich hin dann drehte sie sich um ging langsam zu anderen und stellte sich an das Feuer. Während sie ihre Hände wärmend über die Flamen hielt warteten alle gespannt auf die Rückkehr von Smaragd.
Es war schon dunkel als die Krieger endlich um das Feuer herum saßen und genüsslich den Kaninchenbraten verzehrten den Smaragd ihnen bereitet hatte.
„Wie ist das so hier?“ Cindy richtete die Frage mit vollem Mund kauend an Smaragd. „Du bist doch schon hier gewesen und auf der Jagd mit Afra? Was erwartet uns da unten?“
„Es ist alles irgendwie unheimlich“, schmatzte der Tiger, „glaubt mir, selbst mir ist es nicht ganz geheuer.“
„Wenn ich hier draußen alleine wäre würde ich auch Feuergeister sehen“, rief Samantha und alle lachten fröhlich auf.
Smaragd zuckte zusammen und dachte an das Erlebnis mit Loreena und Afra vor ein paar Wochen.
„Es gibt diese Feuergeister“, sagte sie ruhig und warf einen Knochen in das Feuer, „es gibt sie!“
Für einen Moment war alles ruhig, alle starrten Smaragd an die das so ruhig und überzeugend gesagt hatte. Dann brach plötzlich wieder Gelächter los.
„Für einen Moment habe ich geglaubt du meinst das ernst“, kicherte Sirena. Smaragd kaute ruhig an ihrem Kaninchen weiter und wartete bis sich das lachen gelegt hatte.
„Ihr werdet schon noch sehen, es ist unheimlich dort unten“, und nach einer Weile fuhr sie fort, „Afra treibt einen seltsamen Kult, ich verstehe nicht was es damit auf sich hat. Sie hat überall Knochen und Totenschädel.“
„Knochen und Schädel von Tieren?“ fragte Cindy nach.
Smaragd schüttelte den Kopf: „Knochen von Menschen. Sie hat sie getötet im Auftrag von Pallas sagt sie. Sie hütet die Knochen wie ein Heiligtum und räumt sie auch nicht weg. Knochen bleiben so liegen wie der Mensch gestorben ist. Die Haare der Opfer hat sie an ihrem Gürtel.“
„Igitt, Ist ja widerlich“, warf das Orakel in die Runde, „Pallas sei Dank leben wir zivilisiert. Mir war diese Afra nie geheuer, alleine wie sie mich immer angeschaut hat. Ich habe ganz deutlich immer ihre Zweifel an meinen Worten gespürt. Na ja, bei einigen Sätzen von ihr habe ich schon gestaunt und mich gewundert woher eine Wilde solche Weisheiten hat und wieso sie die Namen von Göttern kennt die bei uns nur noch in den alten Schriften zu finden sind. Ich traue ihr nicht.“
Nach dieser ungewöhnlich langen Rede zog sich das Orakel zurück und legte sich zum Schlafen nieder. Das war das allgemeine Zeichen. Das Feuer wurde mit Steinen abgedeckt damit man den Schein der Flammen nicht so weit sehen konnte. Zum ersten Mal seit dem Aufbruch teilte Cindy eine Nachtwache ein. Allen war ganz komisch zumute und mit allerlei seltsamen Vorstellungen und Ahnungen legte man sich zur Ruhe.
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Bereits nach kurzem Marsch durch den Wald fand man das erste Anzeichen und bekam so langsam eine Ahnung davon von was Smaragd gesprochen hatte. Die Amazonen waren sehr früh im Morgengrauen aufgebrochen. Man wollte das Tageslicht solange ausnutzen wie nur irgendwie möglich. Die aufsteigenden Nebel zwischen den Bäumen machten die Landschaft irgendwie märchenhaft aber auch unheimlich. Sie waren eigentlich immer einem ausgetretenen Trampelpfad gefolgt. Das schien ihnen sicherer zu sein. Jetzt standen die Amazonen an einer Gabelung und da wo der Pfad nach links abzweigte ragte ein Pfahl aus dem Nebel und ein mumifizierter, geschrumpfter, menschlicher Schädel steckte auf der Spitze. Es war unheimlich und die Krieger blickten stumm und angewidert auf dieses Mahnmal des Todes. Der Schädel blickte die Truppe mit leeren Augenhöhlen an so als wollte er alle warnen die diesen Weg weiter gehen wollten.
„Weiter“, befahl Cindy und zeigte in die Richtung an dem Schädel vorbei. Nur zögerlich setzte der Trupp sich in Bewegung und einige machten respektvoll einen Bogen um den Pfahl. Nach einiger Zeit traf man wieder auf ein Zeichen. Dieses Mal waren es zwei Pfähle links und rechts des Pfades und etwas weiter hinten lehnte ein menschliches Skelett an einem Baum. Der Schädel war herab gefallen und zwischen die weit auseinander gestreckten Knochen der Oberschenkel gerollt.
Cindy spürte wie sich die Haare an den Armen aufstellten und ihr eine Gänsehaut über den Rücken lief. Aufmerksam spähte sie in die Gegend. Ihren Kriegern ging es nicht anders. Und Smaragd meinte nur: „Afras Lager ist ganz in der Nähe.“
Cindy winkte nur stumm mit der Hand und bedeutete allen langsam weiter zu gehen. Dann plötzlich sahen sie es. Der Pfad endete auf einer kleinen Lichtung und genau zwischen zwei eng stehenden Felsen war ein Lager. Um das Lager herum waren überall diese Pfähle mit den Totenköpfen in den Boden gerammt. Wie ein Zaun reihten sie sich auf und verdeckten den Blick auf das eigentliche Lager dahinter. Erst als die Truppe sicher war, dass keine Menschenseele in der Nähe war betrat man die Lichtung. Es bot sich ein Bild des Grauens. Im näheren Umkreis des Lagers waren überall Skelette verteilt. Einige waren schon mit Gras überwachsen, andere lehnten an Bäumen oder kleinen Felsen. Selbst in der Nähe des Schlafplatzes lagen überall Knochen herum. Die Feuerstelle war kalt und Sirena riskierte einen Blick in den Topf der an einer Kette vom Ast eines Baumes über der Feuerstelle hing. Eine graue Masse mit einer erkalteten Fettschicht befand sich darin und Sirena rümpfte angewidert die Nase.
Smaragd beteiligte sich nicht an den Untersuchungen des Lagers. Sie schaute immer wieder nervös zu dem Felsen auf dessen Plateau das Zeichen der Feuergeister war und zog sich in den Schatten eines Baumes zurück. Für sie war dieser Ort nichts Ungewöhnliches und sie respektierte die Lebensweise von Afra.
Plötzlich hörten die Krieger erstaunte Ausrufe des Orakel und alle beeilten sich dort hin zu gehen wo sie die Rufe vernahmen. Auch Smaragd war neugierig genug und machte sich auf den Weg.
Ariane, das Orakel schaute Smaragd an.
„Du hast gesagt, dass Afra all diese Menschen getötet hat?“
Smaragd nickte stumm.
„Das kann aber gar nicht sein. Diese Knochen hier sind beinahe 300 Jahre alt. Das können keine Opfer von Afra sein.
„Doch“, Smaragd nickte heftig mit dem Kopf, „Afra hat zu jeder Leiche eine Geschichte, es sind ihre Opfer und diese Knochen sind ihr heilig.“
Das Orakel verständigte sich mit Cindy dass sie ein paar dieser Knochen mitnehmen werde um sie zuhause in aller Ruhe genauer untersuchen zu können. Smaragd bekam ein schlechtes Gewissen und bereute es, die Amazonen zu diesem Lager geführt zu haben.
„Das dürfen wir nicht, es sind Afras Heiligtümer und Afra hat uns nie etwas getan.“
Cindy beruhigte Smaragd und erklärte ihr, dass sie Afra ja nicht schädigen wollen sondern nur herausfinden wollen was hier vor sich geht. Cindy bezweifelte auch, dass Afra das Fehlen ein paar weniger Knochen überhaupt bemerken würde.
Cindy lies alles aufschreiben und zählen und in eine Karte genau eintragen. Dem Felsen aber mit dem Zeichen schenkte niemand Bedeutung und Smaragd atmete erleichtert auf als Cindy endlich das Zeichen zum Rückzug gab.
Entkräftet aber überglücklich fielen die Amazonen auf die Knie und küssten den Boden als sie nach tagelangem Marsch endlich wieder heimatlichen Boden unter den Füssen hatten. Während alle erschöpft in ihren Hütten auf das Lager fielen fand das Orakel keinen Schlaf. Ariane machte sich sofort an die Untersuchungen der Knochen und entdeckte Erstaunliches …...